Übersterblichkeit in Zeiten von Covid-19 und der Umgang mit den Zahlen

Denn sie wissen nicht, was sie tun“ lautete der Titel eines Beitrags des Herausgebers der Zeitschrift Die Welt Stefan Aust vom 08. September 2020. Darin wird die Recherche zu genauen Todeszahlen durch die COVID-19-Pandemie sowie der Vergleich zu bisherigen Influenzawellen beleuchtet, um letztlich die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie zu hinterfragen.

Doch die Kommunikation der offiziell abrufbaren Daten scheint an einigen Stellen missglückt und soll daher hier noch einmal von wissenschaftlicher Seite aus erläutert werden.

 

Beim Begriff Sterblichkeit sollten als Erstes grundsätzlich Letalität und Mortalität klar voneinander unterschieden werden. Erstere bezieht sich auf das Verhältnis von Todesfällen unter den Erkrankten im Vergleich zur Gesamtzahl der Erkrankten. Letztere stellt die Zahl der Todesfälle der Gesamtzahl an Personen gegenüber, wobei hier nur ein Kollektiv aus einem bestimmten Gebiet und einer bestimmten Zeit betrachtet wird.  Einen weiteren epidemiologischen Begriff stellt die sogenannte Übersterblichkeit (Exzess-Mortalität) dar, den wir bereits in einer früheren Ausgabe erläutert haben.

 

Als Zweites ist die Recherche valider Daten notwendig. Diese ist tatsächlich mühselig, aber man wird fündig.

So wurden offizielle Statistiken zu den Todesraten bisheriger Grippewellen auf der Internetseite des Robert-Koch-Instituts (RKI) im Epidemiologischen Bulletin publiziert, allerdings nur bis Stand 2015. Eine Angabe über die allgemeine Spannbreite Influenza-assoziierter Todesfälle bietet das RKI zudem im Kapitel Häufig gestellte Fragen und Antworten zur Grippe (Stand 201). Berichte zu einzelnen Influenzawellen finden sich in den jährlichen Saisonberichten der Arbeitsgemeinschaft Influenza.

Bezüglich COVID-19 sind die Daten noch sehr neu und werden in Sonderauswertungen des  Statistischen Bundesamtes (letzter Stand Oktober 2020) dargestellt. Solche Sonderauswertungen bergen allerdings Fehlerquellen durch fehlende Korrektur möglicher Doppelmeldungen oder noch nicht erfolgter Plausibilitätskontrolle.

Dabei setzt grundsätzlich die Erfassung der Mortalität sowohl bei Influenza  als auch bei COVID-19 eine zuvor labordiagnostisch bestätigte Infektion voraus. Auch wichtig zu wissen: Im Falle von COVID-19 entsteht aktuell ein Zeitverzug bei der Übermittlung der Sterbefallzahlen von vier Wochen durch einen Meldeweg über Standesämter, statistische Landesämter sowie den schließlichen zentralen Dateneingang beim Statistischen Bundesamt. Dies hängt auch von regionalen Gegebenheiten ab. Demnach ist eine endgültige Festsetzung der Mortalität erst in den ersten Monaten des Folgejahres möglich.

 

Letztlich lässt sich die Bewertung, ob die Sterblichkeit Maßnahmen zur Durchbrechung der Infektionsketten rechtfertigt oder nicht, nicht losgelöst von einem weiteren Faktor betrachten: Dem sogenannten Präventionsparadox, wie Prof. Drosten von der Berliner Charité erläuterte. Denn wie bereits in einem unserer Beiträge  vom 14. Juni 2020 verdeutlicht, bestätigen Studien den Nutzen von Einschränkungen des öffentlichen und privaten Lebens zur Unterbindung der Weiterverbreitung des Virus. Niedrige Sterbezahlen sind folglich kein Beweis für die Überschätzung einer Gefahr, sondern können ein erfolgreiches Pandemie-Management bestätigen.

 

Fazit: Ohne eine umfassende und mitunter aufwendige Recherche von bisher erfassten Sterbezahlen bei offiziellen Institutionen und deren Analyse im Kontext von weiteren Einflussfaktoren entstehen womöglich irreführende Rückschlüsse über die Verhältnismäßigkeit von Infektionsschutzmaßnahmen, die durch reißerische Medienkommentare sogar die Glaubwürdigkeit fachlicher Kompetenz durch widersprüchliche, unvollständige oder verkürzte Darstellung beeinflussen. Denn sie wissen schon, was sie tun, aber vielleicht benötigt es in Zukunft eine klarere Kommunikation zwischen den wissenschaftlichen Institutionen und den Medien.

 

Julia Augustin