USA: drohender Mangel an Arzneimitteln

Ein Ereignis – menschengemacht oder natürlich – wird erst dann zur Krise, wenn es auf eine vulnerable Gesellschaft trifft, deren Ressourcen für eine Bewältigung nicht ausreichen. Das betrifft in der gegenwärtigen Krise der Öffentlichen Gesundheit auch den global stark arbeitsteiligen Arzneimittel-Markt, den das Resilient Drug Supply Project des Center for Infectious Disease Research and Policy (CIDRAP) der University of Minnesota jüngst untersuchte. So litten zunächst auf der Angebotsseite Produktion wie Distribution, insbesondere im März diesen Jahres, unter Schließungen von Produktionsstätten und Ausfuhrbeschränkungen. Dem stand und steht eine gestiegene Nachfrage nach Arzneimitteln in der Krankenversorgung gegenüber. Das betrifft einerseits Medikamente, die zur Behandlung von COVID-19-Patienten und Patientinnen verwendet werden, etwa Propofol, Midazolam, Hydroxychloroquin, Rocuronium, Fentanyl, Azithromycin, Vancomycin und Tocilizumab. Von insgesamt 40 dieser in der COVID-19-Therapie eingesetzten Medikamenten warnt die American Society of Health-System Pharmacists (ASHP) bei 29 Medikamenten vor einer Knappheit, die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA bei 18 Medikamenten. Hinzu kommen 156 in der Akutmedizin verwendete Medikamente, etwa Antibiotika, Gerinnungshemmer und Sedativa, von denen 67 momentan knapp werden, so die Wissenschaftler*innen des CIDRAP. Das kann die indirekte Mortalität der COVID-19-Pandemie für Patientinnen und Patienten mit anderen Erkrankungen erhöhen.

Dieser Mangel hat mehrere Gründe: Zum Einen einen erhöhten Gebrauch in Hot Spot-Gebieten, der das 5- (Midazolam) bis 40-fache (Tocilizumab) betragen kann. Hinzu kommt die teilweise oder vollständige Schließung von Produktionsstätten für Rohstoffe, Zwischen- und Endprodukte (etwa in China, Indien und Europa) sowie von Frachthäfen und Ausfuhrbeschränkungen während des Lockdowns im März. Steigt nun die Zahl der gleichzeitig bestehenden Hot Spots im Herbst und Winter, so werde es zunehmend schwieriger, den Ressourcenbedarf zwischen Gebieten mit niedrigem und hohem Bedarf auszugleichen, so die Wissenschaftler*innen. Und schließlich, so kritisieren sie, seien Lieferketten zu oft zu undurchsichtig, leider häufig beabsichtigterweise.

Neu ist das Problem nicht; bereits seit 2001 wird in den USA potentielle Arzneimittel-Knappheit erfasst, trotzdem mangelte es dem Land in jedem der letzten Jahre an über 100 verschiedenen Arzneimitteln. Auch in der Versorgung mit Arzneimitteln wirkt die Pandemie in ihren sozialen Folgen  als Katalysator bestehender gesellschaftlicher Ungleichheiten und Unzulänglichkeiten.

Quellen und weiterführende Artikel:

http://freepdfhosting.com/79b4b318ec.pdf
https://www.statnews.com/pharmalot/2020/10/21/covid19-coronavirus-pandemic-shortages/
https://www.cidrap.umn.edu/news-perspective/2020/03/experts-say-covid-19-will-likely-lead-us-drug-shortages

 

Philipp Mayr