Warum der Vergleich der AstraZeneca-Impfung mit der Pille kein sinnvoller Diskussionsansatz ist

Vergangene Woche ging folgender Vergleich in sozialen Netzwerken viral:

Einerseits: 1.100 von 1.000.000 Frauen bekommen wegen der Pille eine Thrombose. Der Zusammenhang ist wissenschaftlich belegt. Die Pille ist trotz vieler Nebenwirkungen mehrheitlich unumstritten. Andererseits: 6 von 1.000.000 Menschen in Europa haben nach einer AstraZeneca-Impfung eine Thrombose bekommen. Es gibt bislang keine Hinweise auf einen kausalen Zusammenhang.

Auch Politiker*innen übernahmen öffentlich den stark vereinfachten Vergleich.

Wir als Medizinstudierende sollten diese Art der Debatte kritisch hinterfragen. Denn bei dem oben genannten Vergleich handelt es sich um einen „Whataboutism“. Whataboutism stellt eine Gegenfrage: „Was ist eigentlich mit…?“, mit welcher ein Themenwechsel erzwungen wird. Dabei wird mittels eines aggressiven Gegenangriffs der Fokus der Debatte verschoben, um von der eigentlichen Diskussion abzulenken. Andere Beispiele dafür sind die plakative Frage: „Und was ist mit den hungernden Menschen in Afrika?“ oder die Ablenkungsmanöver von Donald Trump.

Von mehreren Medien wurde der Vergleich genauer unter die Lupe genommen und für schwierig befundet, unter anderem wegen folgender Punkte:

  1. Sinusvenenthrombosen, die bei AstraZeneca in Untersuchung sind, haben eine niedrigere Inzidenz in der Gesamtbevölkerung als tiefe Beinvenenthrombosen (100 bis 200 pro 100 000), die bei der hormonellen Kontrazeption auftreten. Deswegen sind auch schon wenige Fälle auffällig und eine weitere Untersuchung wert – hierzu das PEI: „Die Anzahl dieser Fälle nach AstraZeneca-COVID-19-Impfung ist statistisch signifikant höher als die Anzahl von Hirnvenenthrombosen, die normalerweise in der Bevölkerung ohne Impfung auftreten.“ Beim Vergleich müssten also vielmehr die Häufigkeiten der Sinusvenenthrombosen gegenübergestellt werden.
  2. Sinusvenenthrombosen sind letaler als die TVT. Hierzu Karl Lauterbach: „Die Thrombosen, die es nach Einnahme der Pille gibt, die sind nicht in der Schwere vergleichbar mit den Thrombosen, über die wir hier sprechen.
  3. Eine Impfung wird entwickelt, damit sich alle Menschen damit impfen lassen können. Die Verschreibung der Antibabypille sollte wie bei jedem anderen Medikament nur nach sorgfältiger individueller Nutzen-Risiko-Abwägung und Aufklärung über UAW erfolgen.

Natürlich ist die tiefe Venenthrombose als unerwünschte Anwendungswirkung der Antibabypille wichtig und real! Ein Bewusstsein dafür ist bei der individuellen Verschreibung und Aufklärung durch uns Mediziner*innen unerlässlich. Aber dies ist eine andere Debatte und sollte nicht vorsätzlich oder unreflektiert mit einer anderen vermischt werden.

Man sollte sich in diesem Fall also auf die eigentlichen Untersuchungen hinsichtlich der Fälle von Sinusvenenthrombosen nach einer AstraZeneca-Impfung konzentrieren – dazu mehr gibt es im Artikel “AstraZeneca und Hirnvenenthrombose – möglicher Pathomechanismus entdeckt” und bei MaiLab.

Inzwischen haben funk und quer vom BR unter ihren Instagram-Posts nachträglich angemerkt, dass der Vergleich vereinfacht sei und zum Zeitpunkt der Veröffentlichung noch keine Informationen über Hirnvenenthrombosen öffentlich waren. Die Wirkung der Verbreitung kann aber nicht mehr rückgängig gemacht werden.

Whataboutism erklärt bei SWR2 Wissen: https://www.swr.de/swr2/leben-und-gesellschaft/whataboutism-erklaert-von-bernhard-poerksen-104.html

Hier das PEI über die Aussetzung der Impfung und den Vergleich mit der Antibabypille: https://www.pei.de/SharedDocs/Downloads/DE/newsroom/meldungen/faq-temporaere-aussetzung-astrazeneca.pdf?__blob=publicationFile&v=4

Bei MaiLab gibt es ein Video, das sich mit der Sicherheit der AstraZeneca-Impfung beschäftigt: https://www.youtube.com/watch?v=oBLQmE-nG60

 

Helena Salamun