Kommunikation von Fehlern II – Schweden

In der letzten Woche berichteten wir über den Umgang mit Fehlern in der Wissenschaft am Beispiel zweier zurückgezogener Studien. Dabei haben wir vor allem die Kommunikation über Fehler und die notwendigen Reaktionen darauf hervorgehoben. 

In dieser Woche geht es eher in die politische Richtung. Wie man sich denken kann, unterscheidet sich die Vorgehensweise in beiden Bereichen mitunter sehr. Dies liegt jedoch auch daran, dass sie zur Verwirklichung zweier unterschiedlicher Konzepte dienen, nämlich auf der einen Seite dem Wissenszuwachs und auf der anderen Seite eher handlungsorientiert der Implementierung von Maßnahmen. Außerdem können politische Entscheidungen, vor allem in Ausmaßen eines Lockdowns, die gesamte Bevölkerung eines Landes weitaus direkter betreffen, als dies einzelne Studien tun. Diese und einige weitere Aspekte zeigen, dass kritische Entscheidungen in der Politik durchaus ein sensibleres Thema sein können als in der Wissenschaft. Zu relativieren ist gegebenenfalls auch hier der Ausdruck des Fehlers, da eine im Nachhinein als falsch identifizierte oder sehr kritische Entscheidung auf Grundlage der damaligen Wissenslage noch als plausible Möglichkeit erschienen sein kann. 

Diskutiert wurden in diesem Rahmen beispielsweise auch die Maßnahmen von Schweden. Hier wurde statt des in vielen anderen europäischen Ländern durchgeführten Lockdowns nur zu freiwilligem Physical Distancing angehalten und Versammlungen über 50 Menschen ebenso wie Besuche in Altenheime verboten. Auch zu Reisen bzw. weiter entfernten Besuchen existierten nur Empfehlungen. 

Kritik an diesem Vorgehen wurde dabei vor allem deshalb laut, weil Schweden im Vergleich zu anderen skandinavischen Ländern eine deutlich höhere Zahl an Infizierten und Verstorbenen aufweist. 

Schwedens hauptverantwortlicher regierungsberatender Epidemiologe Dr. Tegnell, der die Verantwortung für das Vorgehen und die Maßnahmen während der COVID-19-Pandemie trägt, sagte beispielsweise noch im April, dass  Schwedens hohe Todesrate hauptsächlich auf den unzureichenden Schutz von Altenheimen zurückzuführen sei, diese jedoch nicht die gesamte Strategie als ungeeignet kennzeichnen würde. Mittlerweile gibt er zu, dass Schweden wahrscheinlich mit dem heute zur Verfügung stehenden Wissen einen Mittelweg zwischen Schwedens und dem der meisten anderen Länder der Welt wählen würde. Das direkte Eingestehen eines Fehlers ist hier eher nicht erkennbar.

Die ehemalige regierungsberatende Epidemiologin Annika Linde findet da eindeutigere Worte und denkt, Schweden hätte sich von Anfang an auf drei Dinge konzentrieren sollen: Frühes Lockdown, besserer Schutz von Altenheimen und intensive Testung und Contact Tracing in Ausbruchsgebieten. Eine „endgültige Entscheidung“, ob Schweden nun falsch gehandelt und anschließend mit diesem Umstand angemessen umgegangen ist, bleibt aber letztendlich jedem selbst überlassen.

Weiterlesen: https://www.bbc.com/news/world-europe-52903717

Zu der fraglichen Datenakquirierung der zurückgezogenen Studien des Lancet und des NEJM wurde übrigens ein Artikel im Spiegel veröffentlicht – Weiterlesen

https://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/corona-zurueckgezogene-covid-19-studien-das-steckt-hinter-der-datenbank-von-surgisphere-a-3f5986b8-d9d6-492f-a562-81d3bccbe4fa