Demokratie oder nicht – das ist hier die Frage

„Die Grundlage des demokratischen Staates ist die Freiheit“  – lang ist es her, dass Aristoteles seine Gedanken zu den sechs Staatsformen niederschrieb. Eben diese Freiheit schien in den letzten Monaten rund um die Welt stark gefährdet und mit ihr viele demokratische Systeme.

Die COVID-19-Krise hat eine Ausnahmesituation hervorgerufen und lenkt weltweit die Aufmerksamkeit auf sich. Sie hat uns aber gleichzeitig dafür sensibilisiert, dass keineswegs alle Menschenrechte absolut sind.

Grundlage für jedmögliche Einschränkung der Menschenrechte auf dem Boden der europäischen Menschenrechtskonvention ist der „Ausnahmezustand“. Dieser ist definiert nach dem europäischen Gerichtshof als „außerordentliche Krisen- oder Notfallsituation, die die gesamte Bevölkerung betrifft und eine Bedrohung für das organisierte Leben der Gemeinschaft des jeweiligen Staates darstellt“. Dass SARS-CoV-2 einen Ausnahmezustand darstellt, wird von kaum einem*r bezweifelt. Das Recht auf Freiheit und Sicherheit kann demnach im Rahmen der Ausnahmesituation zur Sicherheit des öffentlichen Wohls maßgeblich eingeschränkt werden. Ein paar Rechte sind aber unantastbar: das Recht auf Leben, einschließlich eines Verbots des willkürlichen Tötens, der Todesstrafe, Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung sowie der Sklaverei. Mehr zum Thema „Ausnahmezustand“ und einige interessante Beispiele aus der Geschichte findet ihr in diesem Artikel – hier.

Auch wenn wir diese Einschränkungen unserer Freiheiten zu einem gewissen Maß akzeptieren, bleiben sie nicht ohne Folgen. Schwache Demokratien bröckeln und Möchtegern-Autokrat*innen ziehen langsam und unter Vorwand der Pandemie mehr Macht an sich. Allerdings offenbaren sie auch autokratische Führungspersönlichkeiten. Am besten lässt sich das an ein paar Beispielen veranschaulichen:

 

  • Starke vs Schwache Demokratie: obwohl einige von Präsident Trumps politischen Aktionen mit Sorge betrachtet werden müssen, sind die USA nach wie vor eine starke Demokratie. Das wird besonders deutlich im Vergleich mit Ungarn. Viktor Orbans „Coronavirus-Gesetz“, welches ihm erlaubt, unbefristet per Dekret zu regieren und ihm somit eine fast uneingeschränkte Macht verleiht, hatte keine verfassungsrechtlichen Konsequenzen in Ungarn. Auch die EU hat sich zurückgehalten und lediglich eine leichte Skepsis geäußert. In den USA hingegen hat Donald Trumps Behauptung, er könne sich mit absoluter Macht über die Gouverneur*innen hinwegsetzen, für mehr Gelächter als Diskussion gesorgt, da ihm kein*e ernst zu nehmende*r Wissenschaftler*in zugestimmt hat. Die amerikanische Verfassung ist hier ausgesprochen eindeutig.
  • Ausgenutzt wird die Krisensituation auch in China, wo nun härter gegen die Protestierenden der Demokratiebewegung in Hong Kong vorgegangen wird. Im April wurden 15 ihrer bekanntesten Vertreter*innen festgenommen. Während die Protestaktionen im letzten Jahr rund um die Welt einen Fixplatz in den Hauptnachrichten hatten, war die Berichterstattung über diese denkwürdige Aktion bedingt durch COVID-19 minimal.
  • Kambodscha, das trotz einer parlamentarischen Staatsform noch nie ein Paradebeispiel der Demokratie war (Demokratieindex 2019: Platz 124 von 167), hat Notfallgesetze erlassen, welche der Regierung erlauben, wortwörtlich „alle Maßnahmen, die notwendig sind“ zu ergreifen, um die Pandemie einzudämmen. Das bedeutet, sie kann die Bewegungsfreiheit der Bevölkerung einschränken, öffentliche Zusammenkünfte verbieten, Social Media zensieren, Eigentum in Beschlag nehmen und gleichzeitig bis zu 10 Jahre Haft bei Widersetzung verhängen.

 

Das sind einige der Demokratien, die zurzeit auf dem Spiel stehen.

Weiter Beispiele findet ihr hier:

Quelle: https://www.economist.com/international/2020/04/23/would-be-autocrats-are-using-covid-19-as-an-excuse-to-grab-more-power

 

Hinzu kommt, dass sich der Bevölkerung momentan nur wenig Möglichkeiten bieten, demokratisch gegen ihre Regierung vorzugehen, denn Wahlen sind in Pandemiezeiten eine Herausforderung und auch Protestmöglichkeiten sind eingeschränkt. Südkorea hat zwar im April gezeigt, dass Wahlen möglich sind, doch weniger gut organisierte Länder mit geringeren finanziellen Rücklagen haben da mehr Probleme. Für manche Staatsoberhäupter eine willkommene Ausrede, die Wahlen einfach zu verschieben. Besonders bedenklich ist das in Ländern wie Malawi oder Äthiopien, mit jungen demokratischen Systemen oder nicht legitimen Regierungen.

 

In Aristoteles’ Augen war die Demokratie keine vollkommene Staatsform, doch sehr wohl erstrebenswert. Politik ist dynamisch, denn sie repräsentiert eine Gesellschaft die ständig im Wandel ist. So mag es zurzeit noch scheinen, dass die Autokratie einen Höhenflug erlebt, doch darf man nicht vergessen, dass eine Bevölkerung infiziert mit Trauer, Skeptizismus und Wut einen Wandel der besonderen Art auslösen kann. Es bleibt zu hoffen, dass die Pandemie genau jene Demokratien, die sie jetzt aus dem Gleichgewicht bringt, letztendlich zu einem demokratischen Wandel anregen wird.

 

Weiterlesen: https://www.economist.com/international/2020/04/23/would-be-autocrats-are-using-covid-19-as-an-excuse-to-grab-more-power