Post-COVID-Syndrom – gesellschaftliche Dimensionen

In den vergangenen Monaten erhielt eine gesundheitliche Auswirkung der COVID-19-Pandemie vermehrt Aufmerksamkeit: das Post-COVID-Syndrom. 

Nach einer Analyse von anonymisierten Daten aus Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen der zweitgrößten deutschen Krankenkasse Barmer (ca. 10,5% der deutschen Bevölkerung sind hier versichert.) wurden allein von November 2020 bis März 2021 2911 Betroffene mit einem Post-COVID-Syndrom registriert. Frauen waren häufiger krankgeschrieben, was mit der vermehrten Beschäftigung in sozialen Berufen begründet wurde. Dabei fiel auf, dass 17% der Arbeitsunfähigkeiten über mindestens 4 Wochen gingen. Eine Korrelation zu höherem Lebensalter und schwerem Verlauf stellte sich heraus. Allerdings waren auch 10-20% der Betroffenen mit leichtem Verlauf mindestens 4 Wochen lang krankgeschrieben. Die Barmer geht sogar anhand fehlender Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für die akute Infektionszeit davon aus, dass asymptomatisch Infizierte ein Post-COVID-Syndrom entwickeln können. Unter den codierten Primärdiagnosen fanden sich Atemnot, Schwindel, Husten, Fatigue, Kopfschmerz, Depression und Angststörungen sowie Neurasthenie. Rund 90% der Erfassten erholten sich binnen drei Monaten. 

Dass ein Post-COVID-Syndrom auch nach leichtem oder asymptomatischem COVID-19-Verlauf auftreten kann, fanden Forscher:innen in einer prospektiven Kohortenstudie ebenfalls heraus. 958 Patient:innen wurden dafür im Zeitraum von April 2020 bis Dezember 2020 in der Kölner Ambulanz jeweils 4 (n = 442) und 7 Monate (n = 353) postinfektiös auf bestehende Symptome und SARS-CoV2-Antikörper-Spiegel im Blut untersucht. Das Durchschnittsalter der Betroffenen lag bei 43 Jahren. Fast ein Viertel der Untersuchten hatte Vorerkrankungen wie arterielle Hypertonie, chronische Lungenerkrankung, Krebserkrankung, Diabetes mellitus oder Autoimmunerkrankungen. Es zeigte sich, dass die häufigsten geschilderten Symptome (Anosmie, Ageusie, Fatigue, Kurzatmigkeit) noch bei 34,8% der Patient:innen nach 7 Monaten bestanden. Für ein langes Bestehen von Symptomen ergab sich eine Korrelation zu multiplen Symptomen, Diarrhö, Anosmie und dem initialem IgG-Titer. Männer waren weniger betroffen. Die Drop-Out-Rate war mit 20% hoch. 

Noch nach 6 Monaten bestanden sogar bei 61% der Teilnehmenden Langzeitsymptome in einer norwegischen prospektiven Kohortenstudie (Februar 2020 bis Oktober 2020) an 312 Patient:innen. 82% der Befragten hatten zuvor einen milden Krankheitsverlauf gehabt. Zu den Langzeitsymptomen zählten auch hier Anosmie und Ageusie, Fatigue, Dyspnoe, Konzentrationsstörungen sowie Gedächtnisprobleme. Von den Teilnehmenden zwischen 16 und 30 Jahren hatten 52% noch Beschwerden, bei den 0 bis 15-Jährigen waren es hingegen 13%. Daraus ergab sich eine Korrelation zum Lebensalter, Antikörper-Spiegel, Krankheitsschwere, BMI und pulmonalen Vorerkrankungen. Das Durchschnittsalter lag ähnlich der Kölner Studie bei 46 Jahren. 

In einer prospektiven Studie (Juni bis August 2020) mit 400 Teilnehmenden aus Bangladesch über Risikofaktoren für ein Post-COVID-Syndrom zeigte sich wie in den anderen Studien eine Korrelation zu weiblichem Geschlecht sowie zu positivem PCR-Ergebnis über 14 Tage und schwerem Verlauf. Auch bestimmte Symptome während der initialen Krankheitsphase ergaben eine Assoziation mit vermehrtem Post-COVID-Syndrom: Fieber, Husten, Atemstörung, Lethargie. Das Durchschnittsalter der Patient:innen lag bei 39,8 Jahren. 46% der ehemals Infizierten entwickelten ein Post-COVID-Syndrom. Auch hier hatten 62% einen milden Verlauf zuvor gehabt. Zu den geschilderten Symptomen gehörten Fatigue, Husten, Belastungsdyspnoe, Kopfschmerz, Schwindel und Schlafstörungen. 

Ein Post-COVID-Syndrom kann auch Kinder betreffen Kürzlich publizierte ein russisches Forschungsteam eine prospektive Kohortenstudie über durch COVID-19 hospitalisierte Kinder (n = 518) und Post-COVID-Syndrom (April 2020 bis August 2020). Die Teilnehmenden waren im Durchschnitt 10,4 Jahre alt. 24,3% gaben noch nach acht Monaten Beschwerden – allen voran Fatigue, Schlafstörung, Sensibilitätsstörung – an. Mögliche Risikofaktoren waren das Alter und Erkrankungen des atopischen Formenkreises. 

Seit November 2020 gibt es nun auch eine eigene Codierung für die Folgezustände einer SARS-CoV2-Infektion, die im Januar 2021 aktualisiert wurde. 

Über die uneinheitliche Definition eines Post-COVID-Syndroms haben wir berichtet. 

Bei COVID-19-Erkrankung während bestimmter beruflicher Tätigkeiten kann eine Anerkennung als Berufskrankheit oder Arbeitsunfall beantragt werden. Im April 2021 wurden seit Pandemie-Beginn 17000 beruflich bedingte SARS-CoV2-Infektionen registriert. 

Seit dem 12 .Juli 2021 gibt es eine S1-Leitlinie über diagnostisches und therapeutisches Vorgehen bei Post-COVID-Syndrom. Demnach sollten differentialdiagnostische Abklärungen erfolgen und bei Bestehen von Symptomatik über 3 Monate spezialdiagnostisch untersucht werden. Ferner sieht diese ein multimodales und interdisziplinäres Betreuungsangebot, das an die bestehenden Symptome angepasst ist, vor. Zum Belastungsaufbau wird beispielsweise die Strategie des Pacing genutzt, bei der eine stufenweise Belastungssteigerung über Spaziergänge zu Haushaltserledigungen mit ggf. Rückkehr zur vorherigen Stufe bei Verschlechterung empfohlen. Generell sollte vor Wiederaufnahme von Alltags- oder beruflichen Aktivitäten eine umfassende Beratung erfolgen, um einer Überlastung vorzubeugen.

 

Einen erhöhten Rehabilitationsbedarf als Folge einer SARS-CoV2-Infektion stellte die Deutsche Rentenversicherung in einer Presseanfrage fest. So erreichten drei Thüringer Reha-Kliniken im April des Jahres ihre Kapazitätsgrenze bei der Betreuung von Post-COVID-Patient:innen. Auch die sächsische Krankenhausgesellschaft befürchtet nach den hohen Infektionszahlen im Winter 2020 vor Versorgungsschwierigkeiten. Auch sei die Terminfindung in den Post-COVID-Ambulanzen schwierig. Daher fordert nun die Betroffenen-Initiative in einer Petition Long-COVID Deutschland einen Ausbau der Versorgung und Forschung..

Auf dem Arbeitsmarkt fielen vor allem bei schwerem COVID-19-Verlauf Betroffene nach einer Auswertung der AOK viermal so lange aus wie der Durchschnitt. 

Um das genaue Ausmaß des Post-COVID-Syndroms letztlich abschätzen zu können, fehlten jedoch weiterhin Daten. 

weiterlesen:

– Leistungen bei Anerkennung als Berufskrankheit: https://www.bgw-online.de/DE/Presse/Pressearchiv/2020/PM-DGUV-COVID-19-als-Berufskrankheit.html

– Post-COVID-Check bei beruflich bedingtem Post-COVID-Syndrom: https://www.bg-kliniken.de/ueber-uns/das-unternehmen/aktuelles-1/post-covid-check-hilfe-bei-covid-19-folgen/ https://www.bg-kliniken.de/post-covid-programm/

– Überblick über Kliniken für Post-COVID-Patient:innen: https://www.klinikkompass.com/kliniken-fuer-post-covid-patienten/

– Überblick über Post-COVID-Sprechstunden und -Ambulanzen: https://longcoviddeutschland.org/post-covid-19-sprechstunden/ https://longcoviddeutschland.org/post-covid-19-ambulanzen/

– online- und offline-Selbsthilfegruppen: https://longcoviddeutschland.org/

– Interview mit einer Pneumologin zu Post-COVID-Syndrom: https://www.aerztezeitung.de/Nachrichten/Wie-brain-fog-Patienten-nach-COVID-19-das-Leben-schwer-macht-418888.html

– Rehabilitation bei Post-COVID-Syndrom über die Deutsche Rentenversicherung: https://www.deutsche-rentenversicherung.de/DRV/DE/Home/Post-Covid-Themenseite/Post_Covid_node.html;jsessionid=F6F90FF9FAA0EFE7AA9209C3082DE351.delivery1-2-replication

 

Julia Augustin