Interferon Typ I und COVID-19-Krankheitsverläufe

COVID-19 kann asymptomatisch bis sehr schwer verlaufen. Ein Teil dieser Diversität scheint durch Unterschiede im sog. angeboren Immunsystem erklärbar zu sein. So scheint Typ-I-Interferon (IFN I) eine bedeutende Rolle im Krankheitsverlauf von COVID-19-Patient*innen zu spielen. Zur Erinnerung, IFN I ist ein Zytokin, welches in unserem Körper unter anderem als Reaktion auf virale Infektionen von Makrophagen, Monozyten und infizierten Zellen gebildet wird. In zwei Studien1,2 haben Wissenschaftler*innen Defekte in der IFN I vermittelten Immunabwehr bei Patient*innen mit schwerem COVID-19-Krankheitsverlauf (sCOVID-19) untersucht.

Die Wissenschaftler*innen konnten bei mehr als 10% der Patient*innen in der sCOVID-19-Gruppe Auto Antikörper (Auto-Abs) gegen IFN I nachweisen. Um für einen Vergleich die Prävalenz von IFN I Auto-Abs in der Allgemeinbevölkerung abschätzen zu können, untersuchten die Forschenden eine gesunde Kontrollgruppe. Dafür nahmen sie Proben, die aus der Zeit vor COVID-19 stammen. Die Prävalenz von IFN I Auto-Abs in der Allgemeinbevölkerung konnte so auf 0,33% (0,015-0,67%) geschätzt werden. Damit sind diese Antikörper in der Gruppe der schweren COVID-19-Erkrankungen um mindestens den Faktor 15 häufiger vertreten. IFN I Auto-Abs sind damit in der Gruppe der schweren Erkrankungen um mindestens Faktor 15 häufiger vertreten.

Hinweise darauf, dass die Auto-Abs vermutlich schon vor der COVID-19-Erkrankung vorlagen und nicht durch diese hervorgerufen werden, ergaben Auto-Abs in zwei Prä-COVID-19-Proben, die von Patient*innen aus der sCOVID-19-Gruppe vorlagen.

Darüber hinaus ergab sich ein deutlicher Überhang an männlichen Patienten sowohl innerhalb der sCOVID-19-Gruppe mit Auto-Abs (94% männlich) gegenüber ohne Auto-Abs (75% männlich), als auch im Vergleich zur Gruppe der leichten/ asymptomatischen Krankheitsverläufe (28% männlich). Einen weiteren Hinweis auf eine X-chromosomale Verknüpfung der Auto-Abs lieferte die Tatsache, dass bei einer der sieben Frauen aus der sCOVID-19-Gruppe mit Auto-Abs eine X-chromosomale Störung vorlag, bei der Zellen nur ein einzelnes X-Chromosom aktivieren.

In einer zweiten Studie wurden in einem ähnlichen Ansatz schwere Erkrankungsverläufe und genetische Varianten verschiedener Loci untersucht, die mit der IFN I Signalkette in Verbindung stehen. Auch dabei wurde eine Anreicherung von genetischen Varianten gefunden, die mit der Beeinträchtigung der IFN I Induktion und Amplifikation einhergehen.

Diese Defekte waren hinsichtlich der jährlichen Influenza klinisch stumm und manifestierten sich erst durch die Infektion mit dem virulenteren SARS-CoV-2.

Beide Studien deuten daraufhin, dass IFN I eine relevante Rolle bei der Abwehr und der Eindämmung von SARS-CoV-2 spielt und Defekte in der IFN I vermittelten Abwehr vermehrt mit schweren Krankheitsverläufen einhergehen. Spannende Forschungsergebnisse also, die uns einen Schritt weiter bringen, diesen Virus zu verstehen. Allerdings werfen die Erkenntnisse, wie so oft, mehr Fragen auf, als sie beantworten: Könnten schwere Krankheitsverläufe eventuell unterstützend mit IFN I behandelt werden? Könnte eine Plasmapherese die Auto-Abs entfernen und somit den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen? Warum bleibt diese Immunsystemeinschränkung bei anderen Viren klinisch stumm?

 

Zum Weiterlesen:

https://science.sciencemag.org/content/early/2020/09/23/science.abd4585

https://science.sciencemag.org/content/early/2020/09/29/science.abd4570

 

Chris Wichmann