Überflutung der Preprint-Server im Zuge der COVID-19-Pandemie

Ausgelöst durch den Ausbruch der COVID-19-Pandemie wird derzeit eine riesige Zahl klinischer Studien bezüglich des Virus durchgeführt. Auch in der experimentellen Grundlagenforschung arbeitet man auf neue Erkenntnisse hin. Durch den Druck der Öffentlichkeit nach schnellen und frei zugänglichen wissenschaftlichen Erkenntnissen werden vorläufige Forschungsarbeiten auf Preprint-Servern wie https://www.biorxiv.org/ hochgeladen (eine kurze Einführung in Preprints gibt es auch in unserem Archiv). Dabei sollte man meinen, dass sich Zeitdruck und fundierte wissenschaftliche Erkenntnisse ausschließen?

Allein in den ersten vier Monaten der Krise wurden ca. 6000 Preprints veröffentlicht. Zum Vergleich: Beim Ebola-Ausbruch in Westafrika 2014 bis 2016 waren es nur 72. Dies beschleunigt und vereinfacht den Prozess der Veröffentlichung im Vergleich zur traditionellen Veröffentlichung in Journals. Zudem ermöglicht die Zeitersparnis eine bessere Zusammenarbeit von Wissenschaftler*innen weltweit. Außerdem ermöglicht eine vorläufige Veröffentlichung gegenseitige öffentliche  Korrekturen, die zur Qualität der finalen richtigen Version der Studie beitragen können.

Normalerweise durchläuft eine wissenschaftliche Arbeit vor der Veröffentlichung in Fachjournalen ein Verfahren namens „Peer Review“. Dabei wird die Arbeit von anonymisierten Fachleuten bezüglich der Einhaltung wissenschaftlicher Qualitätsstandards wie zum Beispiel des Studiendesigns begutachtet. Dieser Prozess dauert lange, durchschnittlich 117 Tage.

Auf Preprint-Servern hochgeladene vorläufige Arbeiten haben einen solchen Prozess nicht durchlaufen. Erst nach Veröffentlichung wird die Studie von der Öffentlichkeit diskutiert. Zwar haben die bekannten Server bioRxiv and medRxiv als Reaktion Screening-Maßnahmen bei Papern, die COVID-19 betreffen erhöht. Zusätzlich zu Plagiaten und Gesundheitsrisiken werden nun Verschwörungstheorien herausgefiltert. Trotzdem kann sich der/die Leser*in der Einhaltung wissenschaftlicher Standards in der Methodik und der richtigen Interpretation in Preprint-Studien nicht sicher sein.

2017 sprachen Untersuchungen noch für die Qualität von Preprints: 67 Prozent der Preprints, die vor 2017 auf dem BioRxiv-Server hochgeladen wurden, wurden auch in wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht. Der gemessene Unterschied im wissenschaftlichen Wert zwischen einem Preprint und der endgültigen Version derselben Studie in einem Journal betrug durchschnittlich weniger als fünf Prozent (Quelle). 2020 kann sich dieses Ergebnis angesichts der Flut von vorläufigen Artikeln zu COVID-19 jedoch möglicherweise stark verändert haben!

Problematisch ist, dass solche Arbeiten Anhaltspunkte für politische Entscheidungen sein können, wie zum Beispiel die hierzulande stark diskutierte Heinsberg-Studie. Außerdem: Wie der Artikel in der Bild zur Preprint-Studie von Christian Drosten über die Infektiosität von Schulkindern gezeigt hat, ist es nicht selbstverständlich, dass die Medien vorläufige Ergebnisse passend einordnen können. Auch, wenn vorläufige Studien teilweise korrigiert, weiterentwickelt oder zurückgezogen werden, bleibt die schon geschehene öffentliche Wirkung durch unreflektierte mediale Berichterstattung bestehen. Teilweise werden sogar Verschwörungstheorien angeheizt.

Jedoch ist auch ein Peer Review-Verfahren kein 100%iger Garant für Objektivität und Qualität. Im Zuge der COVID-19-Pandemie wurden auch in Journals veröffentlichte Studien zurückgezogen. Das blinde Vertrauen, das Journals entgegengebracht wird, kann voreilige politische Entschlüsse umso mehr provozieren, wie dieses Beispiel zeigt. Zudem haben auch Journals das Verfahren für die Veröffentlichung von COVID-19-Artikeln stark beschleunigt, von durchschnittlich 117 auf 60 Tage, was die Qualität der Prüfung in Frage stellen lässt (Weiterlesen).

In unserer Rolle als Studierende können wir darauf achten, alle Arten von Veröffentlichungen mit Vorsicht zu genießen. Jörg Meerpohl, Direktor des Instituts für Evidenz in der Medizin am Universitätsklinikum Freiburg sagt im Gespräch mit Cochrane Deutschland: „wir alle – Wissenschaftler, Medien, Öffentlichkeit, Politik – müssen lernen, mit dieser neuen Form der Vorab-Veröffentlichung von Ergebnissen angemessen umzugehen.“ Ein wahres Fazit für die dargestellten Probleme.

Weiterlesen: https://www.faz.net/aktuell/wissen/qualitaetsmaengel-der-forschung-die-riesige-datenflut-wird-zum-problem-16795920.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2

https://www.cochrane.de/de/news/zur-diskussion-um-preprints-und-die-qualit%C3%A4t-von-studien-zu-covid-19

https://www.biorxiv.org/content/10.1101/2020.05.22.111294v1.full

 

 

Helena Salamun