Impfung gegen COVID-19 – Licht am Ende des Tunnels?

Wenn Wissenschaftler*innen über die Entwicklung von Impfungen nachdenken, dann wird häufig in Jahrzehnten gedacht, aber was wir in den letzten Monaten erlebt haben, ist die Entwicklung von potenziellen Impfstoffen in nie zuvor dagewesener Geschwindigkeit.

Seit der Erklärung von COVID-19 zur globalen Pandemie durch die WHO am 11.03.2020 befinden sich bereits mehrere Impfungen in Phase-III-Studien und in einigen Ländern (z.B. China & Russland) gibt es schon erste Zulassungen, allerdings durchaus von Kritik an mangelhaften Studiendaten begleitet.

 

Für den Erfolg einer Impfung bedarf es eines immunologisch geeigneten Impfstoffes und der Möglichkeit, diesen in adäquater Menge zu produzieren, zu lagern und zu verteilen.

Grundlage der Impfstoffentwicklung ist die Forschung zu SARS-CoV-2. Es ist bekannt, dass sowohl SARS-CoV-1 als auch SARS-CoV-2 bei den meisten Menschen starke Immunreaktionen auslösen. Studien deuten auch darauf hin, dass neutralisierende Antikörper alleine ausreichen, um vor SARS-CoV-2 zu schützen. Allerdings fallen die Antikörperspiegel innerhalb einiger Monate nach Erkrankung, mit unklaren Folgen für die Möglichkeit einer Re-Infektion. Weniger gut erforscht ist die Rolle von Antikörper-vermittelten Effektorfunktionen, z.B. Antikörper-vermittelte Phagozytose & T-Zellen.

Für Diskussion sorgen Berichte zu adversen Effekten nach Impfungen oder Infektion mit SARS-CoV-1 und MERS-CoV, insbesondere die Frage nach antibody-dependant enhancement (AED), das z.B. auch bei Flaviviren bekannt ist. Die Datenlage für adverse Effekte bei SARS-CoV-1 und MERS-CoV ist uneindeutig und aktuell gibt es keine Hinweise auf AED bei Immunisierung mit der receptor binding domain (RBD) von SARS-CoV-1/2 oder mit inaktiviertem SARS-CoV-2.

Trotz des großen Druckes möglichst schnell einen Impfstoff zu entwickeln und auf Grund der beschriebenen möglichen adversen Effekte, darf nicht auf Sicherheitsprüfungen verzichtet werden. Diesen haben sich auch die Impfhersteller verpflichtet und Leitlinien der EU beschreiben, dass für eine COVID-19-Impfung die gleichen Standards gelten, wie für andere Impfungen auch.

Bei der Frage nach der Immunogenität der verschiedenen Impfstofftechnologien (RNA, Vektor-basiert, Protein-basiert) deuten Daten darauf hin, dass Protein-basierte Impfungen die stärksten Reaktionen (und damit die höchsten Titer) auslösen. Eine große Unbekannte ist hier die Wirksamkeit von RNA-basierten Impfstoffen, da bisher noch kein Impfstoff dieser Sorte zugelassen wurde.

Im Rahmen der Produzierbarkeit und Distribution des Impfstoffes müssen die schon bestehenden Kapazitäten und etablierten Produktionsketten der verschiedenen Plattformen und die Lagerung der Impfstoffe bedacht werden. Generell gibt es für Vektor- und proteinbasierte Impfungen schon bestehende Produktionskapazitäten und Lieferketten. Dabei scheinen Vektor-basierte Impfungen besonders gut skalierbar zu sein, während proteinbasierte Produktion zwar gut etabliert, aber aufwendig ist. Für RNA-basierte Technologien gibt es bisher keine großen Produktionsstätten.

Die Lagerung wiederum stellt besonders für mRNA und Vektor-basierte Impfstoffe ein großes Problem dar, da diese sehr kalt gelagert und transportiert werden müssen (z.T. bei -70°C), während das Spike-Protein des SARS-CoV-2 als relativ stabil gilt (Quelle).

Es stellt sich natürlich auch die Frage, was passiert, wenn wir dann eine Impfung zur Verfügung steht.
Wer soll diese (zuerst) erhalten? Grundsätzlich scheint es hierbei aktuell lediglich Vorschläge, aber noch keine konkreten Pläne zu geben. Meistens sollen vulnerable Bevölkerungsgruppen und “frontline-workers” priorisiert werden.

Eine zweite wichtige Frage ist die weltweite Verteilung der zur Verfügung stehenden Impfdosen. Viele Länder haben sich schon vorab Kontingente gesichert, so hat Deutschland zum Beispiel schon 94 Millionen Dosen verschiedener Impfstoffe vorbestellt.

Die begrenzte Verfügbarkeit von Impfstoffen und entsprechende Konkurrenz um die Sicherung dieser Dosen für das eigene Land, kann dazu führen, dass Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen weniger oder keinen Zugriff auf den Impfstoff haben. Eine Alternative zu Einzelverträgen der Staaten schlägt COVAX vor, eine Initiative zum gebündelten Erwerb von Impfstoffen, die dann gleichmäßig und unabhängig von deren finanziellen Kapazitäten an alle beteiligten Länder vergeben werden. Deutschland beteiligt sich aktuell nicht an dieser Initiative. Auch Universities Allied for Essential Medicines (UAEM) setzt sich für die freie Verfügbarkeit und nachhaltige Bepreisung von Impfungen ein.

 

Unabhängig davon, wann die erste Impfung kommt, bleiben noch viele offene Fragen. Wie schnell können wir einen geeigneten Impfstoff produzieren und verteilen? Wie viele Menschen müssen immun gegen COVID-19 sein, damit wir einen Gemeinschaftsschutz (“Herdenimmunität”) erreichen? Wie lange hält der Schutz durch eine Impfung an?
Und nicht zuletzt: wie viele Menschen werden bereit sein, sich impfen zu lassen?

Aber die Aussicht auf eine Impfung macht dennoch Hoffnung, denn eine effektive Impfung wäre die beste langfristige Lösung für die COVID-19-Pandemie. Das ist unser Licht am Ende des Tunnels.

 

Weiterlesen:

Übersicht über potenzielle Impfstoffe und deren Studienstand:

Interview mit mehreren Menschen aus Forschung und Impfstoffentwicklung zu diversen Fragen rund um eine COVID-19-Impfung in Nature:

  • https://www.nature.com/articles/s41587-020-0697-7#question-131

Ausführliche Review zu COVID-19-Impfung & Operation “Warp Speed” (17. August 2020), viele Hintergrunddaten und Studien:

  • https://jvi.asm.org/content/94/17/e01083-20#sec-10

 

 

Chris Wichmann