Verkehrte Welt: Wenn die ganze Welt einen Mundschutz trägt – nur Chirurg*innen nicht

Die CovidSurg Collaborative (ein Zusammenschluss von Chirurg*innen und Anästhesist*innen, welche an der Datenerhebung zu den Effekten von COVID-19 auf chirurgische Patient*innen arbeiten) schätzt, dass dieses Jahr weltweit ungefähr 28,4 Millionen elektive Operationen abgesagt werden (Grundlage ist eine 12-wöchige Einschränkung der OP-Kapazitäten). Das entspricht über 70% aller normalerweise weltweit durchgeführten elektiven Eingriffe und ist das Ergebnis ihrer kürzlich im British Journal of Surgery veröffentlichten Studie.

Elektive chirurgische Eingriffe sind aber keinesfalls freiwillige Operationen. Zwar versteht man hierunter Eingriffe, welche lediglich innerhalb eines Zeitfensters von Wochen bis Monaten durchgeführt werden sollten, also zum Beispiel eine Kniegelenks-Endoprothese oder eine symptomatische Leistenhernie, doch heißt dies nicht, dass eine ins Ungewisse verschobene Operation mit verlängerter Wartezeit keine negativen Auswirkungen auf den/die Patient*in haben wird. So zählen auch viele onkologische Eingriffe zu elektiven Operationen. Eine Krebserkrankung ist in jedem Fall eine psychische Belastung für Betroffene, verlängerte Wartezeiten auf den erlösenden Eingriff erhöhen diese und können dadurch unabhängig vom tumorösen Geschehen eine zusätzliche Krankheitslast für den/die Patient*in bedeuten.

Neben einer möglichen zusätzlichen Krankheitslast bedeutet die Absage etlicher Operationen aber auch eine finanzielle Belastung für das Gesundheitssystem. Desweiteren hat dieser Zustand auch Einfluss auf junge Chirurg*innnen, die aufgrund der geringeren Zahl an Eingriffen, welche Voraussetzung für das Erlangen der Facharztreife sind, Verzögerungen in ihrer Ausbildung in Kauf nehmen müssen. Schwer messbare, indirekte Folgen welche Lebensqualität, Arbeitsfähigkeit und Pflege beeinflussen, sind ebenfalls vorstellbar. Unklar ist auch noch, welche perioperativen Risiken auf chirurgische Patient*innen mit COVID-19 Erkrankung zukommen bzw. welchem Risiko sich das behandelnde Team aus Anästhesist*innen, Chirurg*innen und OP-Assistenzen aussetzt.

Auch deutsche Chirurg*innen arbeiten an der CovidSurg Initiative mit, nach der in Deutschland in 12 Wochen ungefähr 900 000 Eingriffe verschoben werden mussten. Beruhigend ist aber, dass die deutschen Kapazitäten wohl ausreichen, sodass keine dringenden Krebsoperationen abgesagt werden mussten. Das gilt leider nicht für viele ärmere Länder, welche oft bis zu 72% der geplanten Eingriffe zur Behandlung maligner Erkrankungen hinauszögern müssen.

Was es bedeutet, keinen Zugang zu chirurgischer Grundversorgung zu haben, wird unserer Gesellschaft durch die COVID-19-Pandemie schmerzlich bewusst, bietet aber eine Chance, Licht auf ein unterdurchschnittlich vertretenes Fach der globalen Gesundheit zu werfen – Global Surgery. Das Teilgebiet “Global Surgery” beschäftigt sich mit dem Zugang zu lebensrettender chirurgischer Versorgung weltweit. Wie nützlich ein Schnitt anstelle  einer Tablette in vielen Fällen sein kann, zeigt der 2015 veröffentlichte Report der Lancet Commission on Global Surgery: Chirurgisch behandelbare Leiden machen 30% der weltweiten Krankheitslast aus!

(= Global Burden of Disease: beschreibt die Morbidität und Mortalität der weltweit bedeutendsten Krankheiten auf globalem, nationalem und regionalem Level)

So langsam kommen die Operationssäle rund um die Welt wieder in Gang und werden vermutlich bald heiß laufen, um die nun etlichen Patient*innen auf Wartelisten zügig versorgen zu können.

Weiterlesen:

https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/112862/28-Millionen-chirurgische-Eingriffe-weltweit-aufgrund-von-COVID-19-verschoben?rt=6a1a74dfe827647f851ae46305bad588

 

Eine gute Einführung zum Thema Global Surgery bietet der Report der Lancet Commission on Global Surgery – hier

Webinar der University of Global Health Equity zum Thema “COVID-19 & Surgery & Anesthesia” am 26.05. – hier

Mehr zu dem Thema erfahrt ihr außerdem bei der German Global Surgery Association und bei GlobalSurgStudents.