Gesundheit gegen Wirtschaft oder Wirtschaft und Gesundheit?

Der Umgang mit der aktuellen SARS-CoV-2 Pandemie stellt sich sowohl international als auch national als ein wahrer Balanceakt dar. 

Auf der einen Seite steht die Gesundheit von älteren Menschen, teils mit Vorerkrankungen, die nun oftmals isoliert von ihren Mitmenschen leben. Die Gesundheit von jungen Menschen die zu Risikogruppen gehören und nicht mehr am normalen Leben teilnehmen können. Die Gesundheit von unzähligen Fällen von bis dato gesunden Menschen, die beatmet werden mussten, die bleibende Schäden erlitten haben oder sogar an COVID-19 gestorben sind.

Auf der anderen Seite steht die finanzielle Angst vieler Betriebe. Die Angst die eigene Bäckerei, Gaststätte oder Firma zu verlieren. Die Angst die eigene Arbeit zu verlieren und laufende Kosten nicht decken zu können. Die Angst die langjährig aufgebaute berufliche Existenz zu verlieren.

Es ist aktuell unumstritten, dass die Wirtschaft durch SARS-CoV-2 Schaden nimmt. Verschiedene Wirtschaftsverbände forderten daher ein Ende des Lockdowns. Eine gemeinsame Studie des ifo Instituts (ifo) und des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) zeigt nun, dass Wirtschaft und Gesundheit nicht zwingend zwei Enden eines Spektrums sind:

Es wurde anhand von Modellen berechnet, welche Todeszahlen man unter gewissen Szenarien, gemessen an der Reproduktionszahl erwarten kann und welche wirtschaftlichen Folgen dies hat. Die Studie basiert auf der Annahme, dass die Wirtschaft schwer leiden würde, wenn man die Reproduktionszahl auf ein Minimum drückt (z.B. R = 0,1). Wenn man sich aber von allen Lockerungen verabschiedet, würde dies der Wirtschaft  ebenfalls nicht gut tun, da man epidemiologisch mit einer zweiten Welle rechnen müsste und die steigenden Krankheitszahlen viele Betriebe in den eigenständigen Lockdown zwingen würden. Weiterhin wäre das Vertrauen von Konsument*innen und Investor*innen potenziell beschädigt. Folgend hat das Forscher*innenteam Modelle aufgestellt, um die Todeszahlen für verschiedene Reproduktionszahl-Szenarien R (zwischen 0,1 und 1,0) auszurechnen und anschließend für das jeweilige R die Wirtschaftsleistung mit einer fiktiven Berechnung zu vergleichen, wie die Wirtschaft sich ohne das Auftreten von SARS-CoV-2 entwickelt hätte.

Die Ergebnisse zeigen je kleiner R ausfällt, desto kleiner die Todeszahlen. Jedoch sind die Unterschiede zwischen R = 0,1 und 0,75 nicht wesentlich groß. Gleichzeitig fällt jedoch auf, dass die wirtschaftlichen Kosten in Anbetracht der Umstände bei R = 0,75 minimal sind. 

R = 0,75 würde die deutsche Wirtschaft schätzungsweise 4,6 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) bzw. 307,2 Milliarden Euro kosten.

Eine visuell einfache Zusammenfassung der Ergebnisse, bietet Quarks auf Instagram:

Bild: https://www.instagram.com/p/CANt19iqTYE/

Ethisch lässt es sich natürlich hinterfragen inwieweit Gesundheit und Wirtschaft vergleichbar sind: Welcher der beiden Ebenen bemisst man eine höhere Bedeutung? Was hat eine größere langfristige Wirkung auf die Gesamtpopulation? Überwiegt ein Recht auf Leben ein Recht auf gutes Leben? Und inwiefern die Annahme, dass die Todeszahlen sich zwischen R = 0,1 und 0,75 unwesentlich wachsen, sich ethisch vertreten lässt?

Da es sich auch in dieser Studie um eine Modellierung handelt, die wie andere Modellierungen auf Annahmen basiert muss man auch diese Ergebnisse mit Vorsicht genießen. Die Autoren nehmen an, dass die berechneten Zahlen quantitativ nicht belastbar sind. Andererseits sei der Trend belastbar, dass ein politisches Mittelmaß an Lockerungen und Einschränkungen auf lange Sicht die besten Effekte für Gesundheit und Wirtschaft darstellt. Damit zeigen die Autoren, dass bei einer Pandemie Gesundheit und Wirtschaft nicht zwingend gegenläufig agieren, sondern sich sogar positiv gegenseitig beeinflussen können. Dennoch bleibt die Frage: Welches Mittelmaß ist das richtige Maß?

 

Weiterlesen:

https://www.ifo.de/DocDL/sd-2020-digital-06-ifo-helmholtz-wirtschaft-gesundheit-corona_0.pdf

https://www.deutschlandfunk.de/corona-massnahmen-was-geht-vor-wirtschaft-oder-gesundheit.676.de.html?dram:article_id=477061