Die Sache mit dem Öl

Produktivität braucht Energie, Energie kommt (leider immer noch) zum größten Teil aus fossilen Energieträgern, sprich Erdöl. Da die Pandemie die Wirtschaft gezwungenermaßen in eine Art Dornröschenschlaf versetzt, sinkt dementsprechend die Nachfrage an Erdöl (weniger Industrie, weniger Benzin für Autos, weniger Treibstoff für Flugzeuge, etc). Das hat zur Folge, dass der Preis für ein Barrel (= 159 Liter, entspricht einem historischen Fass) Öl auf Rekordtiefen unterwegs ist. Diese Woche Dienstag ist der WTI (eine Ölsorte aus den USA) an der New Yorker Börse erstmals ins Negative gerutscht, was bedeutet, dass der Verkäufer bereit war Geld auszulegen, um sein Öl los zu werden. 

Wie kann das sein? Der negative Ölpreis ist durch Spekulationen und Termingeschäfte zu erklären. Das bedeutet: bei einem Termingeschäft einigt man sich auf ein Datum und einen Preis für einen Kaufvertrag. Spekulant*innen haben derartige Geschäfte vor der Krise abgeschlossen, mit der Hoffnung, dass der Wert von Öl steigt und sie durch die frühe Preisfestlegung einen Gewinn machen. Diese Rechnung geht offensichtlich aufgrund der Corona-Krise nicht auf. Termingeschäfte können aber auch wieder gekündigt werden. Der Stichtag für die Kündigung von Termingeschäften, welche im Mai ausgeführt werden sollen, war der letzte Dienstag – der Tag des Einsturzes. Da aufgrund der verringerten Nachfrage, eine Großzahl der Termingeschäfte gekündigt wurde, drohten die Anbieter auf ihrem Öl sitzen zu bleiben. Das kann teuer kommen, denn die Lagerung von Öl ist aufwendig und die Lagerkapazitäten extrem eingeschränkt zurzeit. Daher wurde am Dienstag für die Abnahme von Öl sogar Geld geboten. Eindrücklich, aber zum Glück nicht von Dauer – am nächsten Tag war der WTI wieder positiv. [1]

Schwarzer Dienstag der Ölindustrie Quelle: https://www.welt.de/wirtschaft/article207390115/WTI-Oel-Preise-im-freien-Fall-negative-Preise-moeglich.html#cs-lazy-picture-placeholder-01c4eedaca.png

Der Ölpreis ist ein wichtiger Indikator der Wirtschaftsleistung. Zurzeit braucht es aber wohl kaum viel Indizien um zu erkennen, dass es der Wirtschaft nicht gut geht. Wieso wäre ein stabiler Ölpreis trotzdem umso wichtiger? Was klar erscheint ist, dass ein niedriger Ölpreis Nachteile für die erdölfördernden Staaten hat (vorneweg USA, Russland, Saudi-Arabien), da diese weniger für ihr Geld bekommen. Aufgrund der Relevanz dieser Energiequelle in fast jedem Industriesektor, spüren aber auch die Erdölabnehmerstaaten negative Auswirkungen eines zu niedrigen Ölpreises. Zum Beispiel sinkt so die Kaufkraft der Erdölförderstaaten in diesen Ländern, was im Endeffekt dann auch das Wirtschaftswachstum in den Erdölabnehmerstaaten senkt. Über einen niedrigeren Ölpreis freut sich also erstmal nur der Konsument. Aber langfristig hat auch der Konsument nichts davon, wenn es aufgrund eines zu niedrigen Ölpreises zu einem Wirtschaftseinbruch kommt. Ein Ölpreissturz wirkt sich also zusätzlich zu COVID-19 negativ auf die Weltwirtschaft aus.

Man versucht einem Ölpreissturz entgegenzuwirken indem man die Menge an gefördertem Öl steuert. Hierbei ist jedoch Diplomatie und Vertrauen gefragt. Einigungen müssen getroffen werden, damit nicht ein Land seine Fördermengen reduziert, während ein anderes nicht mitzieht und womöglich Profit aus der Opferbereitschaft des Ersteren schlägt. Da diese Diplomatie nicht immer gepflegt wird, kommt es zu den sogenannten Ölpreiskriegen, wie erst kürzlich wieder zwischen Russland und Saudi-Arabien, den beiden gewichtigsten Förderstaaten im OPEC-Verbund (Organization of Petrol Exporting Countries). Diese beiden Staaten haben sich letzte Woche geeinigt die Fördermengen für Mai und Juni drastisch zu reduzieren (um 9,7 Barrel pro Tag bei normalen Fördermengen von 11/9,6 Russland/Saudi-Arabien Barrel pro Tag [2]). Zuvor hatten aber etliche Staaten trotz sinkender Nachfrage ohne Einschränkungen Öl gepumpt.

Warum die USA nicht direkt an dieser Diskussion beteiligt war? Zwar sind die Vereinigten Staaten derzeit aufgrund des extrem umweltschädlichen, stark umstrittenen Frackings der größte Erdöllieferant weltweit, sie sind aber historisch bedingt gar kein OPEC-Mitglied. Mal abgesehen davon, dass die Ölwirtschaft wohl einen ausschlaggebenden Einfluss auf Donald Trump‘s Wiederwahl haben wird, haben die USA auch aufgrund ihrer Position als Hauptförderer ein Interesse an einem stabilen Ölpreis. Nicht überraschend, dass Donald Trump es derzeit mit dem Optimismus etwas zu gut meint, er ist von einer schnellen Erholung der Industrie überzeugt. Wahrscheinlicher ist jedoch das Gegenteil. Die Erdölnachfrage könnte Schätzungen zu Folge um bis zu 29 Barrel pro Tag fallen. Da OPEC die Fördermenge aber nur um 9,7 Barrel (ca. 1/3 des Nachfrageverlusts also) gesenkt hat, wird das den Ölpreis wohl kaum langfristig stabilisieren. 

Schwer diesem Szenario etwas Positives abzugewinnen. Der Versuch zählt aber … was jetzt unerwartet und in geballter Faust durch die COVID-19 Krise auf die Ölindustrie zukommt (ein Einsturz der Nachfrage) ist eine Chance sich auf das vorzubereiten, was kommt, wenn sich die Welt endlich dazu entschließt für das Klima zu kämpfen. Eine langfristige Nachfragesenkung für Erdöl in Folge der COVID-19 Pandemie ist denkbar. Millionen von Menschen entdecken momentan das Home-Office für sich, weniger Flugverkehr und weniger Automobilverkehr reduzieren die städtische Luftverschmutzung beträchtlich. Das könnte dazu beitragen, dass sich die öffentliche Meinung wandelt und endlich geschlossen einen schnelleren Kurs weg von fossilen Brennstoffen unterstützt.

 

[1] https://industriemagazin.at/a/oelpreise-konktrakte-waren-der-treiber-hinter-dem-absturz

[2] https://www.gevestor.de/details/die-10-groessten-oelproduzenten-usa-dank-fracking-in-front-757651.html

 

Weiterlesen:

https://www.economist.com/leaders/2020/04/18/the-future-of-the-oil-industry

https://www.mcgill.ca/maxbellschool/article/policy-challenges-during-pandemic/world-oil-market-covid-19-and-international-politics